Der Mythos, dass Alkohol im Schnee wärmt: Warum Grappa das Risiko einer Unterkühlung erhöht

Der Mythos, dass Alkohol im Schnee wärmt: Warum Grappa das Risiko einer Unterkühlung erhöht

Der Wind zerkratzt die Wangen, die Sonnenbrille beschlägt, und irgendwo zwischen Harsch und Pulverschnee klirrt eine kleine Flasche am Reißverschluss. Auf der Hüttenterrasse lacht jemand, hebt den Becher, ein Schluck Grappa, ein heißes Brennen, ein erleichtertes „Jetzt wird’s warm“. Zwei Minuten später löst sich die Kälte wie ein Schleier von der Haut. Die Finger werden beweglicher. Man fühlt sich wacher, mutiger, fast sorglos.
Unten im Tal kriecht der Nebel über die Felder, oben auf dem Grat tanzt feiner Schnee, der schmilzt, sobald er die Wangen berührt. Die Jacke ist offen, der Puls ruhig, die Schritte leicht.
Wir alle kennen diesen Moment, wenn Wärme mehr eine Idee als eine Messung ist. Und genau dort beginnt der Irrtum. Eine kleine Falle im weißen Licht. Ein Versprechen, das kippt.

Der falsche Wärme-Kick im Schnee

Das liegt nicht an mehr Energie, sondern an geöffneten Blutgefäßen in der Haut. Der Körper pumpt warmes Blut nach außen, die Haut wird rosig, die Kälte scheint zu weichen. Das fühlt sich grandios an – und ist genau das Problem.

Ein Bergretter erzählte mir von einem Mann, der nach zwei Grappa vom Gipfel abfuhr. Er fühlte sich wie neu geboren, zog die Handschuhe aus, filmte mit dem Handy, alles easy. Zwanzig Minuten später, im Schatten eines Waldstücks, wurden die Bewegungen zäh, die Stimme brüchig. Keine dramatische Sturzerzählung, kein Donner. Nur ein leises, unsichtbares Auskühlen, das auf einmal sehr laut wurde.

Physiologisch passiert Folgendes: Alkohol erweitert die Blutgefäße an der Oberfläche. Dadurch fließt Wärme dorthin, wo sie am schnellsten verloren geht – an die Luft, an den Wind, an den nassen Stoff. Im Kern sinkt die Temperatur, auch wenn die Haut „warm“ meldet. Die Wahrnehmung trickst das Gehirn, die Muskeln zittern später, die Kälteschmerzen bleiben aus. Das Risiko einer Unterkühlung steigt, *gerade weil man sich gut fühlt*.

Grappa, Schnee und der stille Temperatursturz

Grappa ist stark, trocken, direkt. Im Winter trifft er auf einen Körper, der ohnehin härter arbeiten muss: Kältezittern, mehr Kalorienverbrauch, schnellerer Atem. Eine Methode, die wirklich schützt, ist die unspektakuläre Zwiebeltechnik. Dünner Baselayer, wärmende Mittelschicht, winddichte Außenschicht – und alles trocken halten. Wer kurz stehen bleibt, zieht sofort eine Extraschicht drüber. Keine Heldentaten, nur Disziplin im Kleinen.

Seien wir ehrlich: Niemand macht das jeden Tag. Jacke auf, Jacke zu, Handschuhe an, Handschuhe aus – es nervt. Genau hier hilft ein kleines Ritual. Trinken aus der Thermosflasche, am besten süß und warm. Ein schneller, salziger Snack für die Muskeln. Und statt Grappa eine Mini-Pause im Windschatten. Wer die Wärme plant, muss sie später nicht suchen.

Ein häufiger Fehler: „Ich bin eh in Bewegung, das passt.“ Bewegung wärmt, klar. Nur frisst der Wind die Wärme weg, wenn die Kleidung feucht wird und offen steht. Alkohol dämpft auch die Warnsignale: die Ungeduld in den Fingern, das Ziehen im Kiefer, die erste Trägheit.

„Alkohol verschiebt das Gefühl von Kälte – und schenkt damit eine gefährliche Überdosis Selbstvertrauen.“

  • Vasodilatation: Wärme wandert nach außen, der Kern kühlt ab.
  • Wahrnehmung: Wärmegefühl steigt, reale Temperatur fällt.
  • Entscheidungen: Risiko steigt, Pausen werden herausgezögert.
  • Motorik: Zittern setzt später ein, Feinmotorik lässt nach.

Warum die Grappa-Wärme trügt – und was wirklich hilft

Unterkühlung beginnt oft lautlos. Ein feuchter Rücken, ein Windstoß, eine kurze Trinkpause – und dann das falsche Getränk. Wer den Wärmeverlust bremsen will, packt zuerst die Übergänge an: vor der Abfahrt Windjacke zu, Buff über Mund und Nase, Mütze tief. Die Hände sind König: trockene, nicht zu enge Handschuhe, Reservepaar im Rucksack. Ein kleiner, unschöner Trick: Beim Stehenbleiben den Reißverschluss ganz hoch, beim Losfahren zwei Fingerbreit öffnen. Es wirkt sofort.

Beim Trinken zählt Flüssigkeit und Zucker, nicht Prozentzahl. Tee mit Honig, Brühe im Becher, Wasser im isolierten Schlauch. Grappa, Obstler, Jägertee – alles nett für den Geschmack, aber draußen ein Ticket in die falsche Richtung. Wer friert, braucht Energiequellen, die die Muskeln füttern, nicht die Blutgefäße öffnen. Kondenswasser im Baselayer? Wechselteil griffbereit. Wärme ist kein Gefühl – sie ist ein Vorrat, den man verwaltet.

Alkohol macht auch unaufmerksam. Kleine Zeichen – nasale Sprache, unklare Bewegungen, ein lächerliches Lachen im Sturm – sind rote Flaggen. Nimm sie ernst, bevor dich die Kälte ernst nimmt.

„Die Kälte verhandelt nicht. Sie nimmt sich, was du ihr lässt.“

  • Plan: Wärmepausen festlegen, nicht auf „Gefühl“ verlassen.
  • Schutz: Windbrecher und trockene Schichten als Standard.
  • Trinken: Warm, süß, alkoholfrei. Thermoskanne statt Flachmann.
  • Team: Aufeinander schauen – Sprache, Koordination, Hautfarbe.

Im Tal erzählt man sich gern, ein Schluck im Schnee sei Teil der Romantik. Vielleicht ist das der wahre Kern des Mythos: das Bedürfnis, den Moment einzuhegen, ihn festzuhalten wie eine lodernde Flamme in einem kalten Raum. Nur wärmt er nicht lange. Wärme in der Kälte ist eine Kunst aus kleinen, wiederholten Entscheidungen. Aus dem Mut, langweilig zu sein, und der Freiheit, die Heimfahrt mit warmen Fingern zu erleben. Und aus der Bereitschaft, die Illusion auszuhalten, ohne ihr zu verfallen.

Kernpunkt Detail Interesse für den Leser
Alkohol wärmt nur an der Oberfläche Vasodilatation führt zu Wärmeverlust im Kern Erklärt, warum Grappa im Schnee riskant ist
Echte Wärme ist planbar Schichtsystem, Windschutz, warme süße Getränke Konkrete Schritte, die sofort wirken
Warnsignale lesen Trägheit, nasale Sprache, kalte Finger trotz „Wärmegefühl“ Früh handeln, Unterkühlung vermeiden

FAQ :

  • Wieso fühlt sich Alkohol im Schnee zunächst warm an?Weil sich die Hautgefäße öffnen und warmes Blut nach außen fließt. Die Haut meldet „warm“, während der Körperkern auskühlt.
  • Ist ein kleiner Schluck Grappa wirklich so schlimm?Das Risiko steigt, weil Warnsignale gedämpft werden. Die Menge wirkt je nach Kälte, Wind, Nässe und Erschöpfung.
  • Was trinke ich stattdessen auf Tour?Heißen Tee mit Zucker, Brühe oder Wasser plus Snacks. Kälte liebt leere Energiespeicher.
  • Woran erkenne ich beginnende Unterkühlung bei anderen?Langsame Antworten, unsichere Bewegungen, stille Resignation, blasse Haut. Dann Pause, Wärmeschutz, ansprechen.
  • Hilft Alkohol im Notfall gegen die Kälte?Nein. Er verschlechtert die Thermoregulation und Entscheidungsfähigkeit. Besser: Windschutz, Isolation, Bewegung in Maßen, warme Getränke.

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