Man streut Salz, wartet… und es passiert kaum etwas. Warum wirkt das Wundermittel vom Gehweg plötzlich so träge? Hinter der kleinen Alltagsszene steckt große Chemie. Und sie erklärt, weshalb Salz manchmal gar nicht schmilzt, obwohl doch genug davon auf dem Boden liegt. Genau hier beginnt die eigentliche Geschichte.
Es war einer dieser Wintermorgen, an denen die Stadt leiser wird. Die Autos fahren vorsichtig, die Schritte werden kleiner, die Atemwolken größer. Vor dem Bäcker schüttelt ein Mann ungeduldig seinen Eimer, silbrige Körner prasseln auf den festgetretenen Schnee – es dampft nicht, es glitzert nur.
Wir kamen ins Reden, froren zusammen und schauten auf den Film aus Eiskristallen über dem Asphalt. „Ich habe extra mehr gestreut“, sagte er, „aber nichts schmilzt.“ Der Schnee blieb hart, das Salz blieb liegen. Etwas im sichtbaren Bild fehlte.
Der Bäcker öffnete, die Schlange wuchs, und wir standen noch da. Kein Wunder, denn das Salz suchte verzweifelt nach Wasser, fand aber kaum welches. Der Schlüssel lag nicht im Eimer, sondern im unsichtbaren Gleichgewicht. Ein leises Rätsel.
Die Chemie hinter dem scheinbaren Versagen
Salz lässt Eis nicht „heiß“ werden. Es verschiebt den Gefrierpunkt des Wassers nach unten – die berühmte Gefrierpunktserniedrigung. Dafür muss sich Salz im Wasser lösen, eine Sole bilden, die bei einer bestimmten Konzentration nicht mehr bei 0 °C, sondern deutlich tiefer gefriert. Ohne einen feinen Feuchtigkeitsfilm passiert gar nichts.
Bei −10 °C gibt es diesen Wasserfilm oft nicht, oder nur zögerlich. Trockener, pulvriger Schnee hat zu wenig freie Flüssigkeit, um Salz sofort aufzunehmen. Das Ergebnis: Körner liegen wie Perlen auf einer kalten Decke, statt sich in eine konzentrierte Lake zu verwandeln.
Die reine Lehre sagt: Natriumchlorid kann Eis bis etwa −21 °C schmelzen, dem sogenannten eutektischen Punkt. In der Praxis scheitert es früher – an Zeit, Bewegung und Energie. Auf Gehwegen fehlt Verkehrsreibung, die Sole bildet sich langsam und kühlt beim Lösen sogar weiter ab. Ein Widerspruch mit Hand und Fuß.
Weshalb −10 °C wie eine unsichtbare Mauer wirken
Kommunen streuen deshalb oft „vorgefeuchtetes“ Salz (FS30). Dabei haftet etwas Sole an den Körnern und sorgt dafür, dass sie auf der Oberfläche direkt eine nasse Spur ziehen. Das macht Salz bei −10 °C deutlich wirksamer, weil der Startschuss – Wasser – schon mitgeliefert wird.
Auf dem ruhigen Gehweg fehlt dieser Vorteil häufig. Kein Reifen walkt, kein Räumschild mischt, keine Motorwärme hilft. Wir alle kennen diesen Moment, wenn man zum dritten Mal streut und nur hofft, dass es endlich weich wird. Dann sind Geduld und die richtige Technik wichtiger als eine Hand voll extra Salz.
Salz löst sich außerdem leicht endotherm – es nimmt beim Lösen etwas Wärme auf. Die entstehende Kälte bremst die Schmelze erneut, besonders wenn die Umgebung nicht „nachheizt“. Bei −10 °C ist das Energiebudget knapp; jede unnötige Körnung kostet Zeit. Deshalb sieht man Streusalz flächig liegen, ohne sichtbare Pfützen. Es klingt paradox, ist aber reine Thermodynamik.
So funktioniert Enteisung bei Kälte trotzdem
Erst räumen, dann salzen – nicht andersherum. Eine dünne, festgetretene Restschicht reagiert schneller als 5 Zentimeter Neuschnee. Wer hat, nutzt vorgefeuchtetes Salz oder mischt minimal Wasser bei, um die Solebildung zu starten. Alternativ hilft feiner Splitt für Halt, wenn Schmelzen unrealistisch ist.
Dosieren Sie eher sparsam, aber gezielt entlang der Tritt- und Fahrspuren. Breite „Teppiche“ verschwenden Material und bringen kaum mehr Effekt. Seien wir ehrlich: Das macht am Ende niemand jeden Tag. Doch zwei Minuten mit dem Besen, bevor die Kälte zuschnappt, sind oft der Unterschied zwischen Glasfläche und begehbarer Bahn.
Ein Profi-Tipp lautet: bei Dauerfrost lieber vorbeugen als heilen.
„Unter −10 °C arbeiten wir mit Salzlauge, nicht mit trockenem Salz“, sagt ein Straßenmeister. „Die Lake haftet, kocht sich nicht weg und wirkt sofort.“
- Salz braucht Wasser: Ohne Feuchte keine Sole, ohne Sole kein Schmelzen.
- Eutektikum im Blick: NaCl ≈ −21 °C, doch die Praxis bremst vorher.
- Alternativen: Calciumchlorid wirkt tiefer, Splitt gibt Grip ohne Schmelze.
So entstehen planbare Temperaturfenster statt Glücksspiel.
Ein Blick aufs große Bild – und auf kleine Entscheidungen
Streusalz ist kein magischer Föhn, sondern ein Regler am Thermostat der Natur. Es verschiebt Gleichgewichte, verhandelt mit Temperatur, Wasser und Zeit. An milden Tagen verzeiht es Fehler, bei −10 °C nicht.
Wer früh räumt, lokal streut und die Witterung liest, vermeidet Frust und Schonernte für Böden und Bäume. Manchmal ist Grip besser als Glanz, Splitt besser als Sole. Die Kunst liegt im Wissen, wann Schmelzen sinnvoll ist – und wann Halten reicht.
Winterdienste wissen das längst, Privathaushalte lernen es oft am Bordstein. Einmal daneben gegriffen, und die Fläche ist glatt wie Glas. Beim nächsten Mal klappt es besser, weil die Bedingungen verstanden sind – nicht bekämpft.
Je mehr wir den Mechanismus hinter der weißen Bühne begreifen, desto ruhiger werden unsere Handgriffe am kalten Morgen. Und vielleicht entsteht aus einer Eisschicht ein Gespräch am Bäcker, das eine Nachbarschaft wärmt. Das kleine Wunder beginnt, wenn man weiß, wann Salz nicht das Problem löst, sondern die Physik.
| Kernpunkt | Detail | Interesse für den Leser |
|---|---|---|
| Gefrierpunktserniedrigung | Salz wirkt nur in Wasser; Sole senkt den Gefrierpunkt | Warum Salz ohne Feuchte „nichts tut“ |
| Praxisgrenze um −10 °C | Ohne Verkehr, Wärme und Feuchte ist die Reaktion zu langsam | Realistische Erwartungen auf Gehwegen |
| Alternative Strategien | Vorgefeuchtetes Salz, Calciumchlorid, Splitt, frühes Räumen | Konkrete Lösungen für sehr kalte Tage |
FAQ :
- Schmilzt normales Streusalz bei −10 °C überhaupt?Ja, aber nur wenn sich rasch Sole bildet – etwa durch Restfeuchte, Verkehr oder vorgefeuchtetes Salz. Auf trockenem, sehr kaltem Schnee sieht man oft keine Wirkung.
- Was bedeutet „eutektische Temperatur“ bei NaCl?Das ist der tiefste Gefrierpunkt einer gesättigten NaCl-Lösung: etwa −21,1 °C. Unterhalb friert selbst die konzentrierte Sole wieder ein.
- Hilft mehr Salz automatisch mehr?Nein. Zu viel Korn ohne Wasser bleibt wirkungslos, kühlt beim Lösen zusätzlich und belastet Böden sowie Gewässer. Besser: vor Räumen, gezielt streuen.
- Welche Alternative wirkt bei tieferen Temperaturen?Calciumchlorid (CaCl₂) senkt den Gefrierpunkt stärker und arbeitet schneller; es ist teurer und kann korrosiver sein. Splitt liefert sofort Halt ohne Schmelzen.
- Ist heißes Wasser über Schnee eine gute Idee?Kurzzeitig ja, danach oft glatter. Das Wasser kann als Eisfilm neu gefrieren. Besser: dünn räumen, dann Sole oder Splitt, je nach Lage.









