Schneechaos, rutschige Straßen, ausgefallene Bahnen – und ein Chef, der pünktlich Lohnkürzungen ankündigt. Darf er das, wenn Sie zu spät sind? Die Antwort steckt in einem sperrigen Wort aus dem Arbeitsrecht: Wegerisiko. Und sie trifft viele genau dann, wenn der Winter am härtesten zuschlägt.
Die Stadt ist gedämpft, als hätte jemand die Lautstärke runtergedreht. An der Haltestelle stehen Menschen wie Figuren in einer Schneekugel, der Anzeiger springt von “3 Minuten” auf “fällt aus”. Ein Mann flucht leise, eine Frau tippt hektisch “Komme später” in den Teamchat. Wir alle kennen diesen Moment, in dem die Realität nicht mit dem Kalender synchron läuft.
Sie stapfen durch Matsch, rufen ein Carsharing-Auto, finden keines, rennen zurück, nehmen den letzten Bus, der dann im Stau stecken bleibt. Im Büro ist die Mittagspause schon vorbei, als die Stechuhr piept. Der Vorgesetzte nickt, sachlich. Kürzung der Stunden.
Ein Wort fällt ins Gewicht. Wegerisiko.
Wegerisiko im Schnee: Was wirklich gilt
Wenn Schnee Städte lahmlegt, fühlt sich Verspätung nicht wie “Schuld” an. Trotzdem greift ein klarer Grundsatz: Das Wegerisiko liegt beim Arbeitnehmer. Heißt: Wer zu spät kommt, weil der Weg nicht klappte, verliert den Anspruch auf Bezahlung für diese Zeit. Es geht nicht um böse Absicht, sondern um das schlichte Prinzip, dass der Arbeitgeber nur Arbeit bezahlt, die auch erbracht werden konnte.
Das kann hart wirken, besonders an Tagen, an denen gar nichts mehr rollt. Und doch ist es gelebte Praxis, bestätigt von der Rechtsprechung, seit Jahren. Ein Arbeitsvertrag ist kein Schönwetter-Vertrag. Wenn die Tram streikt, die Straße gesperrt ist oder das Auto im Schnee stecken bleibt, zählt am Ende die Stundenuhr. Ein Puffer hilft – eine Ausrede selten.
Ein Beispiel, wie es tausendfach passiert: Anna, Marketing, 8:30 Uhr Start. Schneefall seit Mitternacht, S-Bahn tot. Sie startet 45 Minuten früher, läuft ein Stück, nimmt einen Bus, wartet, dreht um, ruft an. Am Ende ist sie um 10:15 Uhr da. Ihr Chef ist freundlich und lässt sie die Zeit nacharbeiten. Er muss das nicht. Gehalt für nicht geleistete Stunden darf gekürzt werden. Nur wenn die Arbeit auf Arbeitgeberseite ausfällt, also betrieblich nichts mehr geht, bleibt der Lohnanspruch stehen.
Was tun, wenn alles festfriert? Strategien, die tragen
Die juristische Kante ist scharf, die Lösung oft menschlich. Wer früh kommuniziert, macht vieles leichter. Rufen Sie an, bevor die Startzeit kippt. Dokumentieren Sie Wege, die Sie probieren. Bitten Sie aktiv um temporäres Homeoffice, sofern möglich, und bieten Sie an, Aufgaben priorisiert zu erledigen. Ein klarer Satz wie “Ich komme, aber es kann 90 Minuten dauern – alternativ arbeite ich jetzt sofort remote an X” spart Diskussionen.
Planen hilft. Wetter-App am Vorabend checken, Wecker eine halbe Stunde früher, Schuhe, die nicht rutschen. Klingt banal, wirkt aber. Seien wir ehrlich: Das macht niemand jeden Tag wirklich. An Tagen mit Unwetterwarnung lohnt sich der Aufwand. Ein Taxi müssen Sie nicht zwingend nehmen, wenn die Kosten ausufern. Zumutbarkeit ist der Schlüssel. Was Sie leisten können, sollten Sie zeigen – mehr nicht.
Manchmal entscheidet ein ruhiger Anruf über den Ton des ganzen Tages. Eine HR-Leiterin sagte mir neulich:
“Transparenz vor 8 Uhr nimmt 80 Prozent der Spannung raus. Wer sich meldet, zeigt Verantwortung – der Rest ist Verhandlung.”
Fürs schnelle Handeln ein Mini-Toolkit:
- Gleitzeitkonto prüfen: Können Minusstunden später glattgezogen werden?
- Mobile-Policy kennen: Gibt es eine klare Regel für spontanes Homeoffice?
- Team-Absprachen: Wer fängt Notfälle ab, wenn jemand festhängt?
- Alternative Wege: App für Carsharing, Buslinien, regionale Störungsmeldungen.
- Kurze Notiz im Kalender: “Verspätung wegen ÖPNV – Rückruf folgt.”
Recht und Fairness im Schneesturm
Worum dreht sich die Grauzone? Um Verantwortung – auf beiden Seiten. Arbeitnehmer tragen das Wegerisiko, ja. Arbeitgeber tragen das Betriebsrisiko. Wenn der Betrieb schließt, weil das Tor vereist ist, der Strom ausfällt oder die Halle nicht beheizt werden kann, gilt: Wenn der Betrieb dicht macht, bleibt der Lohnanspruch bestehen. Die Belegschaft ist arbeitsbereit, sie kann nur nicht eingesetzt werden. Ein Unterschied, der in der Praxis oft übersehen wird.
Für Eltern wird’s knifflig, wenn Kitas oder Schulen schließen. Das ist kein klassischer Krankheitsfall des Kindes. Viele Verträge schließen § 616 BGB (bezahlte kurzzeitige Verhinderung) aus. Dann bleiben Urlaub, Überstundenabbau oder unbezahlte Freistellung. Vorher klären spart Stress, gerade im Winter. Niemand gewinnt, wenn die Lösung erst am Empfang gesucht wird.
Und was ist mit “Du hättest eben früher losfahren müssen”? Ja, ein zusätzlicher Puffer ist zumutbar, vor allem bei angekündigtem Schneefall. Niemand erwartet Expeditionen über drei Landkreise. Aber die Zumutbarkeit endet nicht beim ersten ausgefallenen Bus. Wer mehrere realistische Optionen geprüft hat und die Verspätung zeitnah meldet, steht stärker da – auch, falls eine Abmahnung im Raum steht. Das zeigt Haltung, und die wiegt mehr, als man denkt.
Konkrete Fälle, klare Linien: So navigieren Sie richtig
Homeoffice ist kein Zaubertrick, sondern eine Absprache. Ohne Regel im Vertrag oder einer betrieblichen Vereinbarung kann der Arbeitgeber es weder pauschal verlangen noch muss er es gewähren. Viele Teams leben mit pragmatischen Lösungen: Notebook mitnehmen, VPN im Griff, klare Aufgabenliste. Dann wird aus einem Schneetag ein produktiver Tag mit anderer Kulisse. Das spart Wege, rettet Stunden, senkt Puls.
Heikel wird es, wenn aus der Verspätung Regelmäßigkeit wird. Einmal, zweimal – geschenkt. Jede Woche – schwierig. Eine Abmahnung ist möglich, wenn Puffer dauerhaft fehlen und die Verspätung absehbar gewesen wäre. Ein Gespräch hilft mehr als stummes Nicken. Bitten Sie um eine klare Erwartung: Wie viel Puffer gilt als fair? Welche Aufgaben lassen sich vor 9 Uhr remote starten? Wo gibt es Spielraum beim Tagesstart?
Manche Unternehmen kompensieren Winterchaos mit flexiblen Modellen. Vertrauensarbeitszeit, Kernzeiten, Team-Rotation. Andere ziehen streng durch. Beides ist legitim, solange transparent. Ein Hinweis aus der Praxis:
“Die Härte entsteht selten im Gesetz, sondern in der Art, wie man es erklärt.”
Drei Stellschrauben, die oft übersehen werden:
- Saubere Zeiterfassung: Wer seinen Verlauf belegen kann, gewinnt Deutungshoheit.
- Frühwarnsystem: Vorabend-Update bei Unwetter erzeugt Planbarkeit.
- Backup-Tasks: Aufgabenliste für Notfall-Remote, die ohne Büro läuft.
Wenn der Winter das Tempo setzt
Schnee verschiebt Grenzen. Zwischen “verantwortlich” und “machtlos”, zwischen “Pflicht” und “Menschlichkeit”. Wegerisiko klingt kalt, ist aber kein Strafrecht – es ist eine Zuständigkeitsfrage. Wer vorbereitet ist, verliert seltener Geld. Wer kommuniziert, verliert seltener Vertrauen. Und ja, manchmal passieren Tage, die einfach nicht funktionieren.
Vielleicht ist das die eigentliche Lektion dieser weißen Wochen: Arbeit ist ein System aus Regeln, Leben ist Chaos mit Wetterbericht. Beide treffen sich morgens an der Haltestelle. Heute fällt der Bus aus, morgen fährt er wieder. Das Gespräch dazwischen entscheidet, wie man sich danach in die Augen schaut. Erzählen Sie Ihre Wintergeschichte – und hören Sie die der anderen.
| Kernpunkt | Detail | Interesse für den Leser |
|---|---|---|
| Wegerisiko | Verspätung durch Schnee führt zu Lohnkürzung für die fehlende Zeit | Versteht, warum Abzüge rechtlich möglich sind |
| Betriebsrisiko | Bei Betriebsschließung bleibt die Entgeltzahlungspflicht bestehen | Weiß, wann trotz Chaos weiter gezahlt wird |
| Strategien | Früh melden, Alternativen prüfen, Remote-Optionen verabreden | Konkrete Schritte, um Minusstunden zu vermeiden |
FAQ :
- Darf der Chef Lohn kürzen, wenn ich wegen Schnee zu spät komme?Ja, für die Zeit, in der Sie nicht gearbeitet haben. Das Wegerisiko liegt bei Ihnen, auch ohne eigenes Verschulden.
- Muss ich früher losfahren, wenn Unwetter angekündigt ist?Ein angemessener Puffer wird erwartet. Wie groß er ist, hängt von Lage, Verkehrsmitteln und Prognosen ab.
- Muss ich ein Taxi bezahlen, um pünktlich zu sein?Nur wenn die Kosten zumutbar sind. Unverhältnismäßige Ausgaben müssen Sie nicht tragen.
- Gilt Homeoffice automatisch als Ersatz?Nur, wenn es vereinbart ist oder der Arbeitgeber zustimmt. Sonst bleibt es ein Angebot, kein Anspruch.
- Was passiert, wenn der Betrieb wegen Schnee schließt?Dann trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko. Der Lohnanspruch bleibt in der Regel bestehen.









